Am 24.09.2017 findet die Bundestagswahl statt. Am 15.10.2017 findet die Landtagswahl in Niedersachsen statt.
Es stellt sich die Frage, welche Parteien die hier lebenden Deutschtürken und –kurden und andere Migranten bei diesen Wahlen wählen werden.
Aufgrund des aktuellen Aufrufes des türkischen Präsidenten Erdogan stellt sich eine nunmehr eine weitere Frage, werden die Deutschtürken und –kurden überhaupt zur Wahl gehen?
Zwischen der Türkei und Deutschland gibt es derzeit eine diplomatische Krise. Das Ganze begann damit, dass die türkische AKP-Regierung während der Wahlen im Jahr 2016 und während des Referendums 2017 Wahlkampagnen in Deutschland für die hier in der BRD lebenden Türken und Kurden veranstaltete. Diese Wahlkampagnen liefen aggressiv ab und entsprachen nicht dem Demokratieverständnis in der Türkei. Denn, während in der Türkei die Opposition keinen Wahlkampf führen konnte, wenn doch, dann unter Repressalien, genoss die AKP hier in Deutschland alle demokratischen Rechte und konnte für ihre undemokratischen politischen Ziele, nämlich weitere Einschränkung der demokratischen Rechte, der Menschenrechte, Gleichschaltung, Säuberung und sogar für die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei, werben. Als die deutschen Behörden die Erlaubnisse für Veranstaltungen aufhoben oder einschränkten, wurden die deutschen Politiker mit Nazivergleichen beschimpft.
Seit dem Neuantritt der AKP-Regierung und der Verfestigung und Erweiterung der Macht des türkischen Präsidenten wurde die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei nahezu aufgehoben. Unzählige Medien wurden geschlossen oder an regierungstreue Medien zwangsübertragen. Journalisten, auch deutsche Staatsbürger darunter, wurden inhaftiert und viele von ihnen sitzen noch ohne Anklage in Haft. Die Spitze des Eisbergs wurde erreicht durch die Inhaftierung des Menschenrechtlers Peter Steudtner in der jüngsten Zeit.
Der türkische Präsident hat dem nun eine neue unerhörte Verhaltensweise aufgesetzt. Er gibt eine Wahlvorgabe für alle Deutschtürken und –kurden ab während der nächsten Bundes- und Niedersachsenlandtagswahl ab. Sie sollen die Wahlen in Deutschland boykottieren und/oder nicht die CDU, SPD und Grünen wählen.
Ca. 63 % der in Deutschland lebenden Türken und Kurden hatten bei den letzten Wahlen und beim Referendum die AKP gewählt. D. h., der Aufruf des türkischen Präsidenten an die Deutschtürken und –kurden könnte sich massiv auf das Wahlergebnis der einzelnen deutschen Prateien auswirken.
Der türkische Präsident hat während der Parlamentswahlen und während des Referendums in der Türkei sich jede Einmischung in innere türkische Angelgenheiten verbeten. Aber jetzt mischt er sich selbts in den deutschen Wahlkampf ein. Das ist paradox.
Fatal ist dabei auch, dass der türkische Präsident damit zum Einen die Spaltung der Gesellschaft vorantreibt. Er fordert Bürger in Deutschland mit türkischem Migrationshintergrund dazu auf, nicht an aktivem und passivem Wahlrecht teilzunehmen, nicht an politischen Geschehnissen, die hier in der BRD auch ihr Leben bestimmen, zu partizipieren und/oder mitzuwirken und damit sich entweder von der hiesigen Gesellschaft abzuschotten und/oder Parallelgesellschaften zu bilden. Das ist eine unerhörte Einmischung in freiheitlich demokratische Rechte in Deutschland.
Zum anderen erklärt er seine ehemaligen Staatsbürger – für die er sich aber ansonsten nie einsetzt, wenn es um ihre Rechte in der Türkei oder in den Ländern, in denen sie leben geht – zu Staatsfeinenden oder Verrätern des Türkentums bzw. des türkischen Staates, wenn sie die CDU, SPD oder die Grünen wählen. Die türkische Gesellschaft ist ohnehin wegen der derzeit in der Türkei herrschenden politischen Situation, dass man entweder nur für die AKP-Regierung, FETÖ (Anhänger der Gülenbewegung, die in der Türkei als Terrorgruppe eingestuft wird) oder PKK sein kann, stark gespalten. Wenn festgestellt wird, dass man zur FETÖ oder PKK gehört – wenn man nicht mit der AKP sympathisiert, gehört man automatisch zu einer der beiden anderen Gruppen – wird man zu einem Terroristen erklärt und festgenommen.
In Deutschland sind 1,2 Mio. Deutschtürken und –kurden wahlberechtigt. So viele Wähler können entscheidend mit dazubeitragen, welche Partei eine Mehrheit erzielen kann. Ein Großteil dieser Wähler hatte traditionell die SPD gewählt. Wegen der derzeitigen diplomatischen Krise der CDU/SPD-Regierung mit der AKP-Regierung werden diese Wähler wahrscheinlich nicht mehr die SPD wählen können.
Es könnte sein, dass diese Wähler nun aufgrund des Aufrufes die Linke Partei wählen, weil sie auch sozialdemokratische Forderungen zum Ziel hat.
Die CDU/CSU könnte wenige Stimmen von den Deutschtürken und –kurden bekommen, weil während der Wahlkampfveranstaltungen für die türkische Wahlen die Frage aufgekommen ist, dass diejenigen Deutschtürken und –kurden, die den türkischen Wahlkampf auf deutschem Boden so massiv unterstützt haben, sich nicht zur deutschen demokratischen Verfassung bekennen würden. Aus diesem Grunde war bei diesen Parteien die Debatte aufgekommen, die Doppelstaatigkeit wieder aufzuheben. Die „deutsche Leitkultur“ war auch aufgekommen.
Die Grünen hatten in der Vergangenheit von den Deutschtürken und –kurden viele Stimmen erhalten, weil der Vorsitzende dieser Partei Cem Özdemir türkischer Abstammung ist. Aber er hatte die Armenienfrage im Deutschen Bundestag vorangetrieben und eine Abstimmung im Bundestag erreicht. Dadurch haben sich viele Deutschtürken und Türken von ihm abgewendet. Er wurde zu einem Vaterlandsverräter in der Türkei und unter den Türken hier in Deutschland erklärt. Dass die Grünen die Themen zu Menschenrechts-, Meinungs- und Pressefreiheitsfragen in der Türkei, zur Einwanderungspolitik in Deutschland und die Flüchtlingsfragen vorantreiben, ist durch diese Einstufung der Partei in den Hintergrund geraten.
Die Bundes- und Landtagswahl in Niedersachsen sollten streng auseinander gehalten werden. Beide Wahlen betreffen verschiedene Aufgabenbereiche. Die Themen zum Schulsystem, Bildungssystem, bezahlbare Wohnungen, Arbeitsplatzversorgung etc. gehören zu den Landtagswahlen. Die Wähler sollten bei ihrer Landtagswahl darauf achten, welche Parteien sich für die Bürger aktiv auf diesem Gebiet einsetzen und ihre Stimmen danach abgeben.
Etliche AKP-Anhänger hatten bei den letzten Kommunalwahlen in Niedersachsen auf ihre Wahlzettel „Recep Tayyip Erdogan“ geschrieben und damit ungültige Stimmen abgegeben. Aufgrund des Aufrufes des türkischen Präsidenten könnte das wieder passieren. Sie könnten diesmal aber auch als Protest BIG, Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit, eine sog. Türkenpartei, wählen. Ihre Stimme wäre wieder ungültig. Die AKP-Anhänger könnten alternativ zu Hause bleiben. Auf jeden Fall wären das verlorene Stimmen. Diese Wähler würden damit unmittelbar oder mittelbar sich selbst schaden. Weil sie damit die hieisge politische Landschaft nicht mitgestalten würden und weil sie für ihre eigenen Rechte als Bürger in diesem Land, in dem sie eigentlich ihren Lebensmittelpunkt haben, nicht einstehen und kämpfen würden. Das müssen sie sich bewusst machen, wenn sie den Aufruf des türtkischen Präsidenten befolgen wollen.
Hätten die etablierten Parteien Kandidaten aufgestellt, die der AKP nahestehen, so hätten die Deutschtürken- und –kurdenwähler diese Kandidaten gewählt.
Die FDP bekommt von den Deutschtürken und –kurden in der Regel weniger Stimmen, so dass diese Wähler für die FDP nicht zum Zünglein an der Waage werden können.
Außer den Deutschtürken und –kurden gibt es natürlich auch andere Migranten, die auch wahlberechtigt sind und mit dazubeitragen können, dass die eine oder andere Partei ausreichende Stimmen bekommen kann, um in den Landtag oder Bundestag einziehen zu können.
Es gibt z. B. eine große Gruppe von Wählern unter den Vertriebenen und Spätaussiedlern aus der ehemaligen UdSSR und aus den Ostblockländern, die traditionell die CDU/CSU gewählt haben. Ein Großteil von ihnen fühlt sich mttlerweile durch die CDU/CSU nicht mehr ausreichend vertreten. Sie sind unter den Anhängern der AfD zu finden. Häufig haben sie rechte Einstellungen, die von der AfD propagiert werden.
Alle Migranten - auch Aussiedler und Spätaussiedler, unter diesen Mitbürgern gibt es auch viele, die keine Vertriebenen- oder Aussiedlerankernnungen bekommen haben, die unter hoher Arbeitlosigkeit und Altersarmut leiden und genauso wie die anderen Migranten als Ausländer behandelt werden – sollten sich genau überlegen, wie sie ihre Zukunft hier in der BRD gestalten wollen und welche Parteien dabei für sie etwas tun können oder in welchen Parteien sie sich einbringen können. Denn Ziel kann nur sein, dass alle gleiche demokratische Rechte wie die deutschen Bürger erhalten können. Dabei sollten Aufrufe wie von dem türkischen Präsidenten außen vor bleiben.
Wir Migranten haben alle unseren Lebentsmittelpunkt hier in der BRD. Wir haben hier die Probleme mit der Arbeitslosigkeit, Altersarmut, unzureichendes Bildungsniveau, Ausbildungslosigkeit, Schulabgänger ohne Schulabschlüsse, Fehlen von bezahlbaren Wohnungen, unzureichende kulturell angepasste Pflegemöglichkeiten für alte oder kranke Migranten etc. Das alles müssen und können wir nur gemeinsam mitanpacken, in dem wir die Politik hier in der BRD und in den Bundesländern mitgestalten. Lösungen können wir nur hier gemeinsam und nur mit der deutschen Gesellschaft zusammen finden. Die deutsche Gesellschaft kann und sollte nicht über das, was für uns richtig oder nötig sein könnte, allein entscheiden. Also sollten wir alle unter demokratischen Voraussetzungen am 24. September 2017 und am 15. Oktober 2017 zu den Wahlen gehen und hiesige demokratische Parteien nach unserer eigenen freien Entscheidung wählen.