Mesut Özil hat seinen Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft mit Vorwürfen des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit begründet.
Mesut Özil ist und war – unabhängig davon, ob man seinen gemeinsamen Auftritt mit dem türkischen Präsidenten und AKP-Präsidentenanwerter Recep Tayyip Erdogen bei den türkischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Juni 2018 ablehnt, richtig oder falsch findet – der Stein des Auslösers für die neue Debatte in Deutschland, dass hier in der Gesellschaft der Rassismus, Antisemitismus und die Fremdenfeindlichkeit gegenüber den Menschen mit Migrationshintergrund alltäglich ist.
Wie wir bereits mehrmals analysiert und hier auf unserer Internetplatform immer wieder auch geschrieben haben, gibt es im Alltag der EinwandererInnen Diskriminerungen bei der Suche nach Wohnungen, Arbeits- und Ausbildungs-plätzen, bei den Empfehlungen der/die SchülerInnen mit Migrations-hintergründen für weiterführende Schulen nach dem Besuch der Grundschule, bei der Benotung der Arbeiten oder Klausuren von SchülernInnen/StudentenInnen mit Migrationshintergrund etc.
Es herrscht in der hieisgen Gesellschaft eine gespaltene Meinung darüber, wie der Auftritt des Profifußballers Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten zu bewerten ist. Viele kritisieren Özil damit, dass er einen „Diktator“ bei seiner Wiederwahl unterstützt hat, der in seinem Land die elementaren Menschenrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit außer Kraft gesetzt hat und dass das absolut nicht geht. Es gibt aber auch Meinungen, dass es legitim sei, sich mit dem Präsidenten des Landes seiner Eltern ablichten zu lassen. Özil selbst hatte das als „Respektbezeugung“ gegenüber dem Präsidenten seiner Eltern, nicht gegenüber seiner Politik, bezeichnet.
In der Türkei jedenfalls haben der Rücktritt des Profifußballers aus der deutschen Nationalmannschaft und die Reaktionen der Verantwortlichen beim DfB, in der deutschen Politik und in den Medien eine Euphorie losgetreten. Der türkische Präsident will daraufhin den Profifußballer angerufen, ihn zum Rücktritt gratuliert und ihm seine Unterstützung zugesagt haben.
In der Heimat seiner Eltern in Deverek bei Zonguldat wurde sogar das große Leinwandbild, auf dem Mesut Özil mit der deutschen Nationalmannschafts-uniform abgebildet war und auf dem ein Pfeil auf eine „Mesut-Özil-Straße“ hinwies, abgehängt und mit einem Leinwandbild, auf dem Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten abgebildet ist, ersetzt.
Alle Türken begrüßen und gratulieren ihm und bieten ihm in der türkischen Nationamannschaft einen Platz an. Der Bruder des Profifußballers, der im Management der Özil GmbH ist, begrüßt die „Unterstützung“ durch den türkischen Präsidenten.
Das alles zeigt, wie die AKP-Regierung weiterhin die Integration der hiesigen Türken oder türkischstämmigen Deutschen zu torpedieren versucht, wie sie weiterhin die türkische oder türkischstämmige Gesellschaft weiterhin zu spalten versucht und wie sie die Eskalation einer absolut inakzeptabelen Fremdenfeindlichkeit zum Nachteil aller EinwandererInnen voranzutreiben versucht. Auf diesen Zug springt auch die türkische Presse und heizt die Situation noch mehr auf.
Dabei müsste doch eigentlich der Rücktritt des Profifußballers aus der deutschen Nationalmannschaft Unbehagen, Sorge und Angst bei der türkischen Regierung für ihre in Deutschland lebenden türkischen oder türkischstämmigen Bürger bereiten und sie müsste mit der deutschen verantwortlichen Politik zum Schutze und zur Gleichbehandlung dieser betroffenen Menschen Lösungen suchen bzw. die Verantwortlichen zum Unterlassen der Diskriminierungen und zur Gleichbehandlung auffordern.
Natürlich ist auch die Reakton oder Nichtreaktion der AfD, dass dem Mesut Özil das Deutschsein abgesprochen wird, des DfB-Präsidenten Reinhard Grindel, des Managers der deutschen Nationmannschaft Oliver Bierhoff, des Bundestrainers Jogi Löw und des Präsidenten des FC-Bayern Uli Hoeneß nicht akzeptabel.
Oliver Bierhoff hat gleich nach dem Ausscheiden der Nationalmannschaft aus der WM 2018 Mesut Özil die Schuld am Ausscheiden gegeben. Das Spiel wurde aber nicht nur durch Mesut Özil gestaltet, sondern zusammen mit 10 weiteren Profifußballern auf dem Feld.
Der DfB-Präsident hat zunächst tagelang geschwiegen und dann erst sich dahingehend geäußert, dass in den Vereinen alle, auch diejenigen mit Migrationshintergrund zu fördern seien und dass es keinen Rassismuss beim DfB gibt. Dabei hat er völlig außer Acht gelassen, dass er wie z. B. im Jahr 2013 betreffend des Optionsmodells in Bezug auf die Staatsbürgerschaft für die Kinder der EinwandererInnen und mind. ein weiteres Mal in Bezug auf die Multikultidebatte fremdenfeindliche Äußerungen im Bundestag wie folgt getätigt hat:
„Wer Ja zu Deutschland sagt, wer gerne bei uns leben will, von dem kann ich auch die Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft unter Ablegung seiner alten Staatsbürgerschaft erwarten.“
„Multikulti ist in Wahrheit Kuddelmuddel. Es ist eine Lebenslüge, weil Multikulti in vielen Vierteln eben nur Monokultur geschaffen hat, wo es Anreize zur Integration fehlen.“
In Anbetracht dieser Aussagen kann Herrn Grindel keine Glaubwürdigkeit bescheinigt werden.
Der Bundestrainer Löw hat keine Reaktionen gezeigt und tagelang nicht einmal wenigstens seine Leistungen für die deutsche Nationalmannschaft hervorgehoben, nicht einmal dann, nach dem der Präsident des FC Bayern Hoeneß dem Profifußballer sogar die Leistungen abgesprochen hat.
Eine positive Sache hat das ganze Geschehen um Mesut Özil ins Laufen gebracht. Die Debatten um die Alltagsdiskriminierungen tauchten zwar immer wieder mal auf. Sie lösten aber keine großen gesellschaftlichen Diskussionen aus. Die Debatten verschwanden eher kurze Zeit später aus der Öffentlichkeit.
Erst aktuelle Tests haben gezeigt, dass LehrerInnen den SchülernInnen mit Migrationshintergrund schlechtere Noten vergeben, als den deutschen SchülernInnen, obwohl die Leistungen eins zu eins identisch sind. Befragungen haben gezeigt, dass SchülerInnen mit Migrationshintergrund bei gleichen Leistungen keine Weiterempfehlungen für weiterführendere Schulen für höhere Schulbidlungen bekommen.
Der Student und #MeTwo-Initiator Ali Can hat auf Twitter eine Plattform für alle von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit betroffenen Menschen mit Migrationshintergrund dargeboten. Der Rassismus und die Ungleichbehandlung gegenüber diesen Menschen in Schulen, an Arbeitsplätzen, bei Bewerbungen auf einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz und Alltag (Wohnungssuche, Verein, Fitnesstudios die keine Frauen mit Kopftuch trainieren lassen wollen, Alltenheimsuche, Pflegeheimsuche etc.) zeigt sich nunmehr für alle sichtbar, hörbar und niedergeschrieben in seiner „Nacktheit“.
Die #MeTwo-Debatte zeigt aber auch ganze Doppelmoral aller Verantwortlichen, Politiker, Kritisierer, Mitgestalter, Presse etc.
Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gemeinsame Auftritte mit dem türkischen Präsidenten gehabt, sie hat sogar auf einer Veranstaltung einen Verantwortlichen der „Grauen Wölfe“ - türkische Ultranationalisten - per Handschlag begrüßt und es wird im September 2018 wahrscheinlich einen Staatsbesuch des türkischen Präsidenten in Deutschland geben.
Die Welt erlaubte die Abhaltung der WM 2018 in Russland, obwohl der russische Präsident Wladimir Putin in der Ukraine einen Krieg führt, die Krim annektiert hat, Oppositionelle im eigenen Land vehaften lässt, mit dem syrischen Machthaber zusammenarbeitet etc.
Die Fifa hat entschieden, dass die WM 2022 in Katar, einem Land, in dem die Menschen- und Frauenrechte keine Bedeutung haben, stattfindet.
Die israelische Regierung hat hat im Gazastreifen auf unbewaffnete friedliche Demonstranten schießen lassen.
Die NSU (National-Sozialistische-Untergrund) konnte in Deutschland jahrelang Menschen mit Migrationshintergrund unbehelligt morden, in ihren Wirkungs- und Wohnbereichen Rohrbomben in die Luft gehen lassen, ohne dass die verantwortlichen Strafverfolgungsbehörden in die richtige Richtung Ermittlungen aufgenommen hatten. Die Ermittlungsbehörden hatten hatten die Morde diskriminerend und herabwertend als sog. „Dönermorde“ bezeichnet und ausschließlich im Familienumfeld der Opferfamilien ermittelt, so dass die Opferfamilien jahrelang ihre Traumata nicht mal verarbeiten konnten, sondern sich mit den Beschuldigungen oder Verdächtigungen der Familienmitglieder beschäftigt waren. Als ob das alles nicht gereicht hätte, hat sogar der Verfassungsschutz Unterlagen, die weitere Verantwortliche und Hintermänner in
den NSU-Mordfällen ausfindig machen könnten, zerschreddert und den Rest der Unterlagen für 120 Jahre lang unter Verschluss genommen. Der Verfassungsschutz scheint damit über der deutschen Verfassung zu stehen und kann nach Belieben, ohne Kontrolle durch die Verfassungsgesetzgebung und durch die Justiz zum Nachteil der ermordeten Opfer mit Migrationshintergrund schalten und walten zu können, wie er es möchte.
Als all diese Geschehnisse stattfanden und noch stattfinden, entstand und entstehen keine gesellschaftlichen Debatten über Menschenrechtsverletzungen, Rassismus, Ungleichbehandlung, gesellschaftliche Verantwortlichkeiten etc. Niemand oder kaum jemand erhebt seine Stimme. Hier wurde nicht das Versagen der Politik, der Staatsschutzorgane, der Zivilgesellschaft, der Bürgerbewegungen und Arbeitgeber-, Arbeiterwohlfahrts-, Sozialverbände, schulische und hochschulische Institutionen, Kirchen und Presse diskutiert, sondern ein „Fehlverhalten“ eines deutschen Nationalmannschaftsspielers auf dem „politischen Feld“, für das er nicht einmal ausgebildet worden ist.
Das Alles zeigt, dass der Rassismus, die Fremdenfeindlichkeit, der Antisemitismus und die Ungleichbehandlung allgegenwärtig ist, sich bis in alle Institutionen durchgefressen hat und dass in allen gesellschaftlichen und institutionellen Strukturen ein Umdenken stattfinden muss.