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Türkisches Parlament entzieht Mandat von Atalay

Der Menschenrechtler Can Atalay wurde 2022 zu 18 Jahren Haft verurteilt – und trotzdem für die Opposition ins Parlament gewählt. Nun hat Präsident Erdoğan den Fall zu seinen Gunsten entschieden.

Dem inhaftierten türkischen Menschenrechtsanwalt Can Atalay ist das Mandat im Parlament entzogen worden – und damit auch seine Immunität. Grundlage ist ein rechtskräftiges Urteil. Die Entscheidung wurde in Abwesenheit Atalays im Parlament in Ankara verlesen. Abgeordnete der Opposition unterbrachen die Verlesung immer wieder mit Buhrufen und hielten Schilder mit der Aufschrift »Freiheit für Can Atalay« hoch. Atalays Arbeiterpartei TIP bleiben damit nur noch drei Sitze im Parlament.

Der Fall des Menschenrechtlers hatte die türkische Justiz in eine Krise gestürzt. Atalay war im April 2022 im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten von 2013 wegen des Vorwurfs der Beihilfe zu einem Umsturzversuch zu 18 Jahren Haft verurteilt und inhaftiert worden. Trotzdem wurde er bei den Parlamentswahlen im Mai 2023 zum Abgeordneten gewählt. Dies war möglich, weil das oberste Berufungsgericht das Urteil zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestätigt hatte, es somit noch nicht rechtskräftig war. Laut seinem Anwalt hätte Atalay daher auch freigelassen werden müssen.

Zwischenzeitlich urteilte das türkische Verfassungsgericht zweimal binnen weniger Monate, Atalays Inhaftierung beschränke dessen passives Wahlrecht in unzulässiger Weise. Das Berufungsgericht verweigerte aber in beiden Fällen eine Freilassung mit der Begründung, das Urteil des Verfassungsgerichts sei verfassungswidrig. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan äußerte sich ähnlich und brachte eine Verfassungsreform ins Gespräch, um diese Justizkrise zu lösen. Bislang hat er aber noch keine konkreten Vorschläge präsentiert.

Atalay war 2022 zusammen mit dem türkischen Menschenrechtler Osman Kavala und sechs weiteren Angeklagten für schuldig befunden worden, 2013 durch die Organisation landesweiter Proteste einen Umsturz versucht zu haben. Die Gezi-Proteste von 2013 richteten sich auch konkret gegen den damaligen Ministerpräsidenten und jetzigen Präsidenten Erdoğan. Die Angeklagten hatten die Vorwürfe zurückgewiesen.

Inzwischen ist das Urteil gegen Atalay im sogenannten Gezi-Prozess rechtskräftig. Vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurde es als unrechtmäßig beschieden. Im Anschluss an eine hitzige Debatte im Plenum am Dienstag kritisierte Erkan Baş, Vorsitzender von Atalays TIP, die Entscheidungen des Berufungsgerichts als verfassungswidrig. Gleiches gelte für die Aufhebung der Immunität des Oppositionspolitikers. (SPIEGEL Ausland)